„ESG ist die größte Herausforderung der kommenden Jahre“
Wie hat sich Corona auf dem PropTech- und Anwendermarkt ausgewirkt?
Nikolas Samios:
Die ersten sechs bis neun Monate hat die Pandemie erst einmal überall für Verunsicherung gesorgt. Konservative hielten ihr Geld zusammen, Angst vor dem Versiegen des Venture-Capital-Finanzierungsmarktes kam auf und es konnte ein Dip bei den Transaktionen verzeichnet werden. Bei den PropTechs führte die Pandemie zudem zur Sorge vor dem Wegfall der Vertriebsmöglichkeiten, da sich die Branche bisher eher skeptisch gegenüber digitalen Vertragsverhandlungen und -abschlüssen gezeigt hatte. Bis Ende 2020 haben wir jedoch gesehen, dass die Befürchtungen unbegründet waren. Von staatlicher Seite wurde ein gutes Förderpaket für Start-ups zur Verfügung gestellt und die Venture-Finanzierung stieg wieder auf ihr altes Niveau. Meiner Meinung nach sind wir inzwischen aus der Unplanbarkeitsphase raus, sodass jetzt überwiegend die positiven Effekte der Pandemie auf das PropTech-Ökosystem wirken.
Ist die Pandemie letztendlich also doch ein Innovationstreiber?
Nikolas Samios:
Gerade im Bereich der Digitalisierung hat sich einiges getan. Viele alte Entscheider wurden durch Homeoffice und Co. zwangsdigitalisiert und haben gemerkt, dass das nicht unbedingt schlecht sein muss. Makler haben es geschafft, den emotionalen Prozess der Begehung digital abzubilden und so auch über große Entfernungen hinweg elektronisch zu verkaufen. Hinzu kommen Entwicklungen in den Feldern Online-Brokerage und digitales Datenmanagement. Eines der großen Gewinnerthemen der Pandemie ist jedoch das Arbeiten. Das Office-Paradigma hat sich deutlich gewandelt. Mitarbeiter sind keine fünf Tage die Woche mehr im Büro, es gibt immer mehr hybride Arbeitsmodelle, alles wird flexibler und der Büroflächenbedarf geht runter. Unser Portfoliounternehmen Desana bietet beispielsweise eine Lösung an, mit der Mitarbeiter Arbeitsflächen, Schreibtische und Besprechungsräume flexibel in Sekundenschnelle aus einem globalen Netzwerk von Co-Working-Spaces - oder in Ihren eigenen Büros – buchen können, alles zentral über dieselbe App. Das alles wäre sicher auch ohne Corona in den nächsten Jahren gekommen, aber eben nicht ganz so schnell.
Im direkten Vergleich der Herausforderungen: ESG versus Corona – welcher ist der größere Katalysator für die Immobilienwirtschaft?
Nikolas Samios:
Die Antwort ist ganz klar: ESG. Das Thema ist insgesamt einfach nachhaltiger und greift viel fundamentaler in die bestehenden Abläufe und Prozesse ein. Die meisten haben allerdings noch gar nicht gemerkt, wie drastisch das ist. Betrachtet man die aktuellen Regulierungen rund um ESG, sind diese doch nur die Spitze des Eisbergs. Die Definition und die Reduzierung von CO2-Emissionen sind im Pariser Klimaabkommen festgeschrieben und werden über die Jahre strikter, um das Ziel der Klimaneutralität erreichen zu können. Im Gegensatz zu Corona verschwinden diese Themen nicht mehr und der Druck wird sich weiter aufbauen. Unternehmen bleiben nur zwei Optionen: Entweder man öffnet sich für Veränderungen und sucht Wege, diese voranzutreiben, oder man lässt es. Ich gehe sogar so weit zu sagen, dass es für die Branche eine überlebenswichtige Frage ist, ob man sich proaktiv mit Digitalisierung beschäftigt oder nicht. Unter Berücksichtigung der ESG-Kriterien ist beispielsweise die Transformation bestehender Assets eine Jahrhundertaufgabe. Hier sind wir in ein Unternehmen namens ecoworks investiert, das per modularer Bauweise Bestandsimmobilien in wenigen Wochen klimaneutral saniert. Jeder, der jetzt Lösungen hat und entwickelt, wird als Gewinner dastehen.
Haben Sie das Gefühl, dass es Technologien gibt, die künftig drastisch an Bedeutung zunehmen werden?
Nikolas Samios:
Es gibt eine Vielzahl an Potenzialen, mit denen man etwas bewegen kann, allerdings sehe ich nicht die eine Technologie, die als Heilsbringer dienen kann. Ein häufig genanntes Beispiel für einen solchen Gamechanger ist künstliche Intelligenz. Am Ende braucht die KI jedoch Datensätze, anhand derer sie lernen kann, und daran scheitert es aktuell noch an vielen Stellen. Wir bei PropTech1 halten alle Arten von Prozessthemen für wichtig, da aktuell vieles noch eher Low-Tech- statt High-Tech-Probleme sind.
In welchen Feldern sehen Sie verstecktes Potential?
Nikolas Samios:
Potenzial sehen wir in allen Bereichen der Immobilienwirtschaft. Ein großes Thema ist die ESG-Transformation von vorhandenen Assets. Wenn jemand es schafft, seriell zu sanieren, und damit anfängt, all diese gleichförmigen Gebäude aus den Sechzigern Straßenzug um Straßenzug zu sanieren, ergibt es richtig Sinn, darauf zu setzen. Das soll aber nicht heißen, dass es nicht noch viel mehr Potenzial gibt.
Vielen Dank für das Interview!
Über Nikolas Samios:
Nikolas Samios ist Managing Partner von PropTech1 Ventures, der europäischen Venture-Capital-Plattform für PropTech & ConstructionTech, die führende Immobilienunternehmen und -unternehmer, Serial Entrepreneurs aus dem Digital-Sektor sowie Venture-Capital-Experten vereint, um in Innovationen in der Immobilienwirtschaft zu investieren.
In dieser Funktion sowie seinen vorherigen unternehmerischen Aktivitäten, beispielsweise als Managing Partner des VC Family Office COOPERATIVA und als Managing Director von Brandenburg Ventures, dem VC-Vehikel des MP3-Erfinders Karlheinz Brandenburg, hat Nikolas Samios an mehr als 100 Transaktionen auf beiden Seiten des Verhandlungstisches teilgenommen.
Nikolas ist mit Publikationen wie dem Fachbuch DEALTERMS.VC und diversen Fachartikeln ausgewiesener Experte in Sachen Venture-Capital-Methodik. Zudem ist er PropTech-Beauftragter des ZIA, Leiter der Arbeitsgruppe „ESG“ des Bundesverbands Deutsche Startups und Mitglied der Leaders for Climate Change und engagiert sich nicht nur in diesen Positionen für durchdachtes Nachhaltigkeitsmanagement angesichts der steigenden Klima- und Sozialrisiken