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„Unternehmen und Kommunen sitzen im gleichen Boot“

Prof. Dr. Andreas Pfnür leitet das Fachgebiet Immobilienwirtschaft und Baubetriebswirtschaftslehre an der TU Darmstadt. Wir sprachen mit ihm über die aktuellen und zu erwartenden Entwicklungen an den Gewerbeimmobilienmärkten, über die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie und über eine neue Sicht von Unternehmenslenkern auf Ihre Flächen.

 

Herr Prof. Dr. Pfnür, Sie plädieren dafür, dass sich der Gewerbeimmobiliensektor in den nächsten zehn Jahren auch unabhängig von Corona in Richtung Zukunft anpassen muss. Was genau meinen Sie damit?

Zunächst einmal sollten wir uns vor Augen führen, dass sich die Bedarfe an Flächen und die Form von Flächennutzung permanent wandeln. Solche Transformationsprozesse sind Ausdruck des Strukturwandels in Wirtschaft und Gesellschaft und begleiten uns seit vielen Jahrhunderten. Seit der Wiedervereinigung im Jahr 1990 ist es allerdings vergleichsweise ruhig geworden. Auch größere wirtschaftliche Krisen waren vor allem von finanzwirtschaftlicher Bedeutung und berührten realwirtschaftliche Vorgänge und damit die Flächennutzung kaum. In der Folge haben deutsche Unternehmen und insbesondere auch die öffentliche Verwaltung ihre betrieblich genutzten Immobilien von 1990 bis etwa 2015 im Durchschnitt nur langsam und vorsichtig an neue Nutzungsbedarfe angepasst. Dadurch haben sich zum einen Instandhaltungen und Flächenanpassungen angestaut. Zum anderen stehen Unternehmen vor einem massiven Strukturwandel, bedingt etwa durch Globalisierung und steigenden Wettbewerb, Digitalisierung, Urbanisierung und demografische Entwicklungen. Allerdings konnten Unternehmen in den vergangenen Jahren kaum absehen, auf welche Weise sich dadurch Märkte, Geschäftsmodelle, Unternehmensstrukturen, Produkte und Prozesse zukünftig verändern werden. Allmählich lichtet sich der Nebel etwas. In den Fokus rücken der Nutzer und veränderte Arbeitswelten. Digitale Transformation, Corporate Identity und War for talents sind in diesem Zusammenhang wichtige Faktoren, die auf den qualitativen und quantitativen Flächenbedarf einwirken.

Welche Rolle spielt dabei die Covid-19-Pandemie?

Der Wandel wird durch die Pandemie zweifellos beschleunigt. Sie verstärkt wie ein Katalysator die bestehenden Trends. Aber die dahinterstehenden Treiber bleiben die gleichen. Man denke etwa an ökonomische, ökologische und soziale Nachhaltigkeitsziele. Am Beispiel der Covid-19-Pandemie wird offensichtlich, wie direkt die Anforderungen an immobiliare Ressourcen von sich wandelnden Umweltbedingungen abhängen können. Die Einhaltung der Abstandsregeln, sei es durch Work from Home oder auch im angestammten Büro, verändert die Bürowelten – zumindest temporär – massiv. Das Bemerkenswerte an dieser Situation ist weniger das Ergebnis in der physischen Reorganisation der Arbeit, sondern vielmehr wie sich die Bedeutung des Arbeitsplatzes im Bewusstsein des Top-Managements verändert hat. Seit langem war die Lösung immobilienwirtschaftlicher Problemstellungen nicht mehr so bedeutsam für den Unternehmenserfolg wie 2020.

Über welche Größenordnungen sprechen wir hierbei?

Um das genauer einordnen zu können, haben wir die Immobilienverantwortlichen von Konzernen befragt, wie groß der Anteil ihrer Immobilienflächen ist, die sich in den nächsten zehn Jahren durch Re-Development verändern müssen, um den Nutzeranforderungen zu entsprechen. Unabhängig davon, ob es sich dabei um Flächen zur Miete oder im Eigentum handelt, ergab sich ein Re-Development-Bedarf von 35 Prozent. Nähert man sich dieser Frage von der Transaktionsseite, also dem Austausch alter gegen neue Flächen, hieße das, dass jede fünfte Immobilie durch Kauf beziehungsweise Verkauf an neue Nutzungsbedingungen angepasst werden muss. Das lässt insgesamt eine massive Auftragssteigerung für die deutsche Bau- und Immobilienwirtschaft erwarten.

In der ZIA-CREM-Studie 2020 beleuchteten Sie auch die Rolle der öffentlichen Hand in der immobilienwirtschaftlichen Transformation deutscher Unternehmen. Welche Erkenntnisse haben Sie gewonnen?

Die immobilienwirtschaftliche Transformation von Unternehmen hierzulande – also die Anpassung der immobiliaren Betriebsmittel an die veränderten Herausforderungen der zukünftigen Arbeitswelten – ist absolut notwendig, um den Strukturwandel zu bewältigen. Nun sind Immobilienprojekte oft Projektionsfläche vielfältiger Interaktionen zwischen öffentlicher Hand und Privatwirtschaft, weit über die Bau- und Immobilienthemen im engeren Sinne hinaus. Die Prozesse der Bau- und Immobilienprojekte von Unternehmen sind tief in die regionale Entwicklungszusammenarbeit integriert, insbesondere an Arbeitsmärkten, in Stadtentwicklungsprozessen und nicht zuletzt auch in fiskalischer Hinsicht. Man könnte auch sagen, Unternehmen und Kommunen sitzen in der immobilienwirtschaftlichen Transformation quasi in einem Boot. Gleichzeitig ist das Verhältnis der Parteien in der Zusammenarbeit bei Bau- und Immobilienprojekten sensibel. Zwar sollte die Initiative für die immobilienwirtschaftliche Transformation grundsätzlich von den Unternehmen selbst ausgehen. Die Studienergebnisse unterstreichen jedoch auch, dass der Erfolg des Strukturwandels insgesamt sehr stark von der Zusammenarbeit mit der öffentlichen Hand abhängt. Und hier besteht in Deutschland noch einiger Nachholbedarf.

Wo sehen Sie konkret Verbesserungspotenzial?

Auch dazu haben sich die von uns befragten Unternehmen geäußert. Sie regen vor allem Verbesserungen bei den rechtlichen Grundlagen an: 80 Prozent halten das aktuelle Planungs- und Baurecht für nicht mehr zeitgemäß. Für 77 Prozent der Unternehmen gehen die zum Teil jahrzehntealten Rechtsgrundlagen der Immobiliennutzung und des Immobilienbetriebs an den Notwendigkeiten moderner Arbeitswelten vorbei. Auch das Verhalten der Mandatsträger in Politik und Verwaltung wird kritisiert: 70 Prozent attestieren ihnen bislang fehlendes Bewusstsein für die Tragweite immobilienwirtschaftlicher Entscheidungen der Unternehmen sowie mangelndes Verständnis für Zusammenhänge zwischen den betrieblichen Immobilieninvestitionen und den Folgen für den Standort und die Region. Bei Verwaltungsprozessen wurden das geringe Tempo, intransparente Zuständigkeiten und fehlende Weitsicht moniert. All dies anzugehen, verdient höchste Priorität. Nicht nur, weil 86 Prozent der Unternehmen Standortentscheidungen auch daran knüpfen, wie gut die Zusammenarbeit mit den jeweiligen öffentlichen Stellen funktioniert. Sondern auch, weil Unternehmen und Regionen auf diesem Wege ökonomische, ökologische und soziale Nachhaltigkeitsziele maßgeblich voranbringen könnten.

 

Vielen Dank für das Gespräch!

 

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Kirsten Adrian
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